Gehorsamkeit


Eine Meisterin suchte eine Nachfolgerin und hatte eine Vielzahl von potentiellen Nachfolgerinnen zur Auswahl.  Um die passende Frau zu finden, beschloss sie allen eine Aufgabe zu stellen.
Sie versammelte die Frauen um sich und verkündete, dass jene unter ihnen, die den besten Steg am Wasser bauen würde, ihre Nachfolgerin werden würde.

Begeistert machten sich ihre Schülerinnen an die Arbeit und bis zum frühen Nachmittag hatten alle jeweils einen eigenen Steg gebaut.
Die Meisterin ging nun die Stege ab und musterte die Werke. Doch sie hatte an allen etwas auszusetzen.
Enttäuscht zogen sich die Schülerinnen zurück und verbrachten einen unruhige Nacht. Am nächsten Morgen stellte die Meisterin erneut die Aufgabe einen Steg zu bauen und wiederholte, dass jene, die den besten Steg bauen würde, ihr nachfolgen sollte. Und erneut machten sich die Schülerinnen an die Arbeit - bis auf eine. Diese verbrachte den Tag anstelle der Arbeit mit FreundInnen, Musik, Spass und Tanz. Die anderen verlachten sie, dass sie so schnell aufgegeben hätte und fühlten sich stärker und besser als sie. Und unter vollem Einsatz rissen die anderen Frauen bis zum frühen Nachmittag die alten Stege ab und ersetzten sie durch neue. 

Als sie alle fertig waren, ging die Meisterin erneut durch die Reihen und erneut hatte sie an allen Stegen etwas zu kritisieren. Die Schülerinnen waren ratlos und traurig - bis auf jene, die ihren Steg so belassen hatte, wie er am Tag zuvor war.

Als am nächsten Tag erneut der Arbeitsauftrag lautete einen Steg zu bauen, beschlossen fünf weitere Frauen ihr Werk so zu belassen wie es war.
Die andern hingegen machten sich wieder mit Eifer ans Werk und verlachten all jene die den Tag anders verbrachten.
Und so verstrichen noch etliche Tage, doch nie war die Meisterin mit einem Steg zufrieden, und mit jedem Tag hörten mehr und mehr Frauen auf, neue Stege zu errichten.
Zu guter Letzt blieb nur noch eine einzige Frau über, die immer wieder ihren Steg aufs Neue abriß und neu errichtete in der Hoffnung nun endlich das richtige Werk errichtet zu haben.
 
Die Meisterin blickte freundlich und gleichzeitig ernst auf die Frau und fragte mit ruhiger Stimme: "Was muss eigentlich passieren, bist du entdeckst, dass nur du selbst der Maßstab dafür sein kannst, wie der beste Steg aussieht?"

Während die Frau ungläubig der Meisterin hinterher blickte, wandte sich diese jener Frau zu, die nur einmal einen Steg errichtet hatte. "Es freut mich, dass ich eine würdige Nachfolgerin gefunden habe", verkündete die Meisterin und überreichte der mutigen Frau, die von Anfang an zu sich und ihrem Werk gestanden war, den Ring wahrer Größe und innerer Gehorsamkeit. "Es gehört viel Mut dazu, zu sich selbst und seinem Werk zu stehen auch ,wenn man dafür von niemanden gelobt sondern vielleicht sogar verlacht wird", lächelte die Meisterin der jungen Frau zu, die mit einem breiten Lächeln im Gesicht den Ring entgegen nahm und mit warmer Stimme bekräftigte "Ja, auf sich selbst zu hören, mit sich selbst verbunden zu sein, das ist die wahre Herausforderung im Leben, das habe ich von Dir gelernt. Danke"